Erbschaftsteuer: Deutschland als Lehrstück für Schweizer Stimmbürger
Erbschaftssteuer: Deutschland als Lehrstück für Schweizer Stimmbürger
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Neue Zürcher Zeitung vom 04.09.2024
Erbschaftsteuer: Deutschland als Lehrstück für Schweizer Stimmbürger
Deutschland besteuert Betriebsvermögen im Erbfall laut einem internationalen Vergleich besonders kräftig. Das kann für grössere Familienunternehmen zum Problem werden. Die Studie ist auch aus Schweizer Sicht brisant.**
Wird die Volksinitiative der Schweizer Jungsozialisten (Juso) zur Erbschaftssteuer angenommen, müsste auf Vermögensteile über 50 Millionen Franken eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent erhoben werden. Damit würde sich die Schweiz bei der Besteuerung hoher Erbschaften auf einen Schlag in die internationale Spitzengruppe katapultieren. Dies zeigt ein internationaler Vergleich, den das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim im Auftrag der deutschen Stiftung Familienunternehmen erstellt hat und der an diesem Mittwoch publiziert wird.
Viele Länder verzichten
Deutschland zählt bereits jetzt zur kleinen Gruppe der Länder, die grössere Betriebsvermögen im Erbfall im internationalen Vergleich besonders hoch besteuern – und dies, obwohl es für Unternehmen Ausnahmeregeln gibt. Gleichwohl stehen diese Ausnahmen in der Kritik, und von linker Seite, unter anderem von der SPD, gibt es immer wieder Vorstösse zu einer noch höheren Besteuerung sehr grosser Erbschaften. Forderungen, «die Reichen» stärker zur Kasse zu bitten, sind populär. Für Familienunternehmer ist das aber heikel, weil häufig ein grosser Teil des Vermögens im Unternehmen steckt.
Das ZEW hat insgesamt 33 Länder untersucht, darunter neben den EU-Staaten Drittstaaten wie die USA, Kanada, Mexiko, Grossbritannien, Japan, Indien und China. Aus der Schweiz hat es wegen der kantonal unterschiedlichen Regeln stellvertretend den Kanton Zürich einbezogen. Abgebildet wird jeweils der Rechtsstand von 2022. 14 dieser Staaten, darunter Österreich, Schweden, Indien und China, erheben keine Erbschaftssteuer.
Weitere 12 Staaten stellen Erbgänge an Ehegatten und teilweise auch an Kinder von der Steuer frei. Im Kanton Zürich fällt in beiden Fällen keine Erbschaftssteuer an. Staaten wie Frankreich oder die USA verzichten bei erbenden Gatten, nicht aber bei Kindern auf die Steuer.
Blick auf Durchschnittsfirma
Unter den Staaten mit Erbschaftssteuer wiederum gibt es enorme Unterschiede. Nicht nur die Steuertarife variieren, sondern auch Elemente wie Freibeträge oder Vergünstigungen für Unternehmensvermögen. Teil der ZEW-Studie ist deshalb ein Vergleich der effektiven Steuerbelastung, die sich aus diesen Regeln ergibt.
Den Berechnungen liegt ein Unternehmensmodell zugrunde, dessen Bilanz-, Finanz- und Erfolgskennzahlen typisch für ein grosses Unternehmen in Europa sind. Als gross gilt ein Unternehmen, wenn sein Jahresumsatz 50 Millionen Euro überschreitet. Das für den Vergleich herangezogene «Durchschnittsunternehmen» hat einen Marktwert von rund 150 Millionen Euro. Zudem hat der Erblasser der Gesellschaft ein Darlehen von 23 Millionen Euro gewährt.
Gefrässiger deutscher Fiskus
Wird dieses Modellunternehmen an den überlebenden Ehegatten vererbt, fällt in Deutschland die höchste Steuerbelastung unter allen 33 untersuchten Staaten an: Der Fiskus fordert knapp 27 Millionen oder gar 44 Millionen Euro ein, je nachdem, ob die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung (vgl. Info-Box) in Anspruch genommen wird und werden kann.
Die auf den nächsten Rängen folgenden Staaten Finnland und Griechenland sind mit einer Steuerbelastung von unter 10 Millionen Euro deutlich bescheidener. Insgesamt fallen in dieser Konstellation nur in 7 der 33 Staaten überhaupt Erbschaftssteuern an.
Ist der Erbe hingegen ein Kind, erhebt der Fiskus in 14 Staaten eine Erbschaftssteuer. Am höchsten fällt die Besteuerung im Modell mit fast 80 Millionen Euro in Japan aus. Auf dem zweiten Platz liegen die USA mit 56 Millionen Euro. Danach folgt Deutschland, wo die Besteuerung fast gleich hoch ausfällt wie bei der Vererbung an Ehegatten.
Nicht berücksichtigt hat der ZEW-Vergleich die international unterschiedlichen Möglichkeiten, die Steuerbelastung durch Steuerplanung in Vorbereitung auf einen Erbfall zu reduzieren. Dies kann beispielsweise durch die Wahl des Zeitpunkts von Vermögenstransfers oder die Zusammensetzung des Vermögens erfolgen.
Geringes Steueraufkommen
Laut ZEW zeigt die empirische Evidenz, dass eine Erbschaftssteuer langfristig zur Reduktion der Vermögensungleichheit beitragen kann. Allerdings beeinflusse die Steuer das Verhalten der Wirtschaftssubjekte. So verringere sie den Vermögensaufbau moderat, und sie könne Anreize zur Verlagerung des Wohnsitzes oder von Investitionen ins Ausland ausüben.
Für den Staat zählt zudem das Steueraufkommen: Zwar nahm der deutsche Fiskus laut der Studie 2020 lediglich 8,6 Milliarden Euro an Erbschaftssteuern ein, was 1,1 Prozent des Gesamtsteueraufkommens ausmachte. Allerdings entspricht dies einer deutlichen Steigerung gegenüber dem Jahr 2000. Zudem verweist das ZEW auf aktuelle Schätzungen, wonach sich das Steueraufkommen angesichts der Alterung der Bevölkerung und der Zunahme der Vermögen bei unveränderter Besteuerung bis 2050 verdoppeln könnte.
Die hochkomplexen deutschen Regeln öffnen Möglichkeiten zur Steuerplanung und Steueroptimierung. Zusammen mit der im internationalen Vergleich hohen Steuerbelastung führt dies laut ZEW zu einem hohen bürokratischen Aufwand bei den Unternehmen und den Finanzbehörden. Zudem komme es zu Ungleichbehandlungen, weil manche Optionen der Steuerplanung insbesondere für mittelständische Unternehmen nur begrenzt verfügbar oder mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten verbunden seien.
Deutsche Reformoptionen
Vor diesem Hintergrund diskutiert die Studie drei Reformoptionen für Deutschland:
• Verzicht auf Erbschaftsbesteuerung: Die Abschaffung würde laut ZEW die nachteiligen Verhaltensreaktionen und die Anreize zur Steueroptimierung an der Wurzel beseitigen. Zugleich müsste der Staat jedoch auf eine Steuerquelle und den potenziellen Beitrag zur Reduzierung der Vermögensungleichheit und zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit verzichten.
• Breitere Bemessungsgrundlage, reduzierter Steuersatz: Würden die Begünstigungen für Unternehmensvermögen entfallen und würde im Gegenzug der Steuersatz reduziert, sänken die Komplexität und die Verwaltungskosten. Die effektive Steuerbelastung bei der Vererbung von Familienunternehmen könnte aber steigen, wenn die Senkung des Steuersatzes den Wegfall der Verschonung nicht ausgleicht.
• Minimalreform: Eine nur begrenzte Verringerung der Verschonungsregeln könnte die Befolgungskosten und Unsicherheiten etwas reduzieren, würde aber die Steuerbelastung bei einem Teil der Familienunternehmen erhöhen.
Mit der bestehenden Regelung sei vermutlich niemand so richtig glücklich, zumal sie immer wieder zu manchmal überraschenden Gerichtsentscheiden führe, erklärt Roland Franke, Steuerexperte der Stiftung Familienunternehmen und Politik, im Gespräch. Allerdings sei sie ein Kompromiss, der sich aus langen Diskussionen und mehreren Gesetzesänderungen ergeben habe und auf den sich die Unternehmen nun eingestellt hätten. Die Erbschaftssteuer könne die Fortführung von Familienunternehmen aber schon gefährden, weil das Geld de facto aus dem Unternehmen komme. Eine Lösung wäre ihre Abschaffung, doch im Moment sehe er dafür keine politischen Mehrheiten, fügt Franke an.
Und die Schweiz?
Die Schweiz ist in einer ganz anderen Lage, da die Kantone erbende Ehegatten und Kinder in der Regel nicht besteuern. Das deutsche Beispiel illustriert, was bei der Einführung einer hohen Erbschaftssteuer im Sinne der Juso-Initiative droht: Ein vergleichsweise geringes Steueraufkommen würde erkauft mit hohen Bürokratiekosten und unerwünschten Nebenwirkungen wie Ungleichbehandlungen, Steueroptimierung und Verlagerung von Wohnsitz oder Investitionen ins Ausland.
© Neue Zürcher Zeitung, René Höltschi