Bürokratie und Regulierung schrecken vom deutschen Standort ab

Studie zum Wirtschaftsstandort

Börsen-Zeitung vom 02. 05.2024

Bürokratie und Regulierung schrecken vom deutschen Standort ab

Ein Ländervergleich des ZEW zeigt: Bürokratie und Regulierung ersticken das Wachstum und machen den Standort Deutschland unattraktiv. Obendrein wirkt das demotivierend auf Unternehmen wie Konsumenten und erzeugt Verunsicherung, Blockaden und Zorn.
Von Stephan Lorz

Überregulierung und Überbürokratisierung in Deutschland sorgen für einen dramatischen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts und seiner Unternehmen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, für die Stiftung Familienunternehmen. Der Vergleich mit zahlreichen anderen europäischen Ländern zeige zudem, dass ein Ansatz, der mehr auf den Markt und Preismechanismus setzt, viel wirksamer, effizienter und günstiger ist als eine Abfolge von Einzelvorschriften und amtlicher Überwachung unternehmerischen Handelns. Hinzu kommt, so das ZEW mit Blick auf andere Länder, dass mehr Anreize über Marktmechanismen auch die Akzeptanz für die Projekte in der Öffentlichkeit erhöhen.

Ein Hochkostenstandort wie Deutschland, schreibt das ZEW, könne durchaus attraktiv bleiben. Allerdings müsse die Gegenleistung stimmen, die der Staat den Unternehmen biete. Das sei inzwischen nicht mehr der Fall: „Bürokratieaufwand und Governance stehen verglichen mit 21 Staaten in einem schlechten Verhältnis zur Standortqualität.“ Deutschlands öffentlicher Sektor mit seiner Verwaltung, Regulierung und öffentlichen Leistungserbringung werde inzwischen eher als Standortschwäche denn als Standortstärke wahrgenommen.

So ist der öffentliche Sektor hierzulande verglichen mit anderen europäischen Ländern sowie Großbritannien, Japan, Kanada, den USA und China deutlich aufgeblähter. Das Ausgabenvolumen liegt danach bei 49,48% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dagegen erreiche Japan die gleiche mittlere Standortbewertung wie Deutschland mit einem viel geringeren Ressourceneinsatz (44%/BIP).

Das Balkendiagramm stellt den zeitlichen Aufwand für die Abwicklung eines standardisierten Exportgeschäfts in Stunden dar. Österreich, Italien und die Niederlanden teilen sich den 1. Platz mit einer Stunde Zeitaufwand. Dahinter folgen Kanada und die Schweiz mit drei Stunden, dicht gefolgt von den USA mit vier Stunden. Einen deutlich höheren zeitlichen Aufwand haben Großbritannien und Japan mit 28 beziehungsweise 29 Stunden. Deutschland belegt mit 37 Stunden den vorletzten Platz, nur knapp vor Finnland, das für die Abwicklung eines standardisierten Exportgeschäfts 38 Stunden benötigt.
Deutschland besitzt einen hohen zeitlichen Aufwand für die Abwicklung eines standardisierten Exportgeschäfts ©

Unternehmen werden eingeengt

Hinzu kommt die hohe Regulierungsdichte. Auch wenn jede einzelne Regel wohlbegründet erscheine, so das ZEW, führe das Zusammenspiel eines ständig wachsenden Regelwerks zu einem immer dichteren Netz, das unternehmerischen Entscheidungsspielraum einenge. Dabei werde verkannt, dass die Kosten dieser Regulierung in letzter Konsequenz auch den zugrunde liegenden gesellschaftlichen Zielen schaden würden: Sie wirkten investitions- und wachstumsbremsend, entzögen der Volkswirtschaft die eigentlich für Transformation nötigen Ressourcen, und die hohen Kosten würden den gesellschaftlichen Konsens, der für eine zukunftsorientierte Politik unabdingbar sei, untergraben.

So sind in Deutschland für Geschäftsgründungen neun Verfahrensschritte nötig, in Finnland und Irland seien es nur drei, in Kanada gar nur zwei. Selbst Frankreich kommt danach mit fünf Schritten aus. Auch beim Immobilienerwerb macht Deutschland keine gute Figur: Bis zum letzten Schritt dauert dieser dem ZEW-Vergleich zufolge hierzulande 52 Kalendertage, in den Niederlanden sind es etwa drei, in Kanada vier und selbst in Italien „nur“ 16 Tage.

Das Balkendiagramm zeigt den Anteil der Emissionen, die in verschiedenen Ländern durch einen CO₂-Preis abgedeckt sind. Die Schweiz führt mit 84 %, gefolgt von Dänemark (61 %) und Finnland (49 %). Deutschland liegt mit 40 % im unteren Mittelfeld, während die USA mit nur 4 % den letzten Platz einnehmen. Die Daten verdeutlichen erhebliche Unterschiede in der CO₂-Bepreisung zwischen den Ländern.
Deutschland traut dem CO2-Preis nicht © Stiftung Familienunternehmen, 2024

Aufwändige Exportbürokratie

Geradezu desaströs fällt das Verdikt für die Exportindustrie aus, die nach wie vor – man müsste sagen: bürokratischen Hürden zum Trotz – einer der Wachstumsmotoren Deutschlands ist. Ein Standard-Exportgeschäft kann in Spanien, Italien, den Niederlanden oder Österreich in einer Stunde abgewickelt werden. In Irland sind es dann doch 25 Stunden und in Großbritannien nach dem Brexit 28 Stunden. Hierzulande müssten die Unternehmen dagegen 37 Stunden aufwenden, kritisiert das ZEW.

Angesichts der Herausforderung der Klimatransformation und ihrer Bedeutung für die Ampel-Koalition hat sich das ZEW die Klimapolitik genauer angesehen. Deutschland habe hier einen stark regulativen Ansatz gewählt, der die Freiheit der Unternehmen gravierend einengt, so das Urteil. Das habe aber zur Folge, dass die Wirtschaftsakteure der Klimapolitik mit Pessimismus entgegentreten würden. Demgegenüber legen die Unternehmen in skandinavischen Ländern, die von der Ampel-Regierung oftmals als Vorbild für Klimapolitik herausgestellt werden, mehr Optimismus und Akzeptanz für die Klimawende an den Tag. Dort aber werde durchweg ein mehr marktbasierter Ansatz verfolgt, verstärkt auf den CO2-Preismechanismus gesetzt, weniger auf konkrete Vorgaben und Regulierung.

Demotivation beklagt

Das ZEW hält die Ergebnisse seiner Studie für außerordentlich „beunruhigend“, schon weil der deutsche bürokratische und regulative Ansatz den eigentlich wichtigen aktuellen gesellschaftlichen Zielen wie der Förderung einer Gründungskultur und der Stimulierung des Wohnungsbaus entgegenlaufe. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen zeigt sich deprimiert und warnt vor dem Zorn, der durch solch demotivierende Eingriffe entsteht. „Der gesellschaftliche Konsens, den wir eigentlich brauchen, um Zukunftsaufgaben zu bewältigen, geht verloren.“ Die Politik sollte die Unternehmen lieber mit klaren Marktsignalen ermutigen und „nicht mit Bürokratie frustrieren“.

Deutlich wird auch Nikolas Stihl, Aufsichtsratsvorsitzender der Stihl AG. Er verweist auf seine globale Erfahrung hinsichtlich des Bürokratieaufwands weltweit. Deutschland schneide hier sehr schlecht ab. „Gerade beim Klimaschutz brauchen wir eine marktbasierte Klimapolitik statt kleinteiliger Vorschriften und Verbote.“ Es gehe darum, allein durch das Setzen ordnungspolitischer Rahmenbedingungen den Wettbewerb der Ideen zu fördern. Dabei müsse Technologieoffenheit gewährleistet sein. Stihl: „Unternehmen und Konsumenten wollen verantwortlich und frei entscheiden – und nicht bevormundet werden.“

"Regulierung und Bürokratie schrecken vom deutschen Standort ab", 02.05.2024, Stephan Lorz © Alle Rechte vorbehalten. Börsen-Zeitung, Frankfurt am Main.

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